Die stille Stadt
Richard Dehmel
Liegt eine Stadt im Tale,
ein blasser Tag vergeht.
es wird nicht lange dauern mehr,
bis weder Mond noch Sterne
nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
nebel auf die Stadt,
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
kaum Türme noch und Brücken.
Doch als dem Wandrer graute,
da ging ein Lichtlein auf im Grund
und durch den Rauch und Nebel
begann ein leiser Lobgesang
aus Kindermund.
In meines Vaters Garten
Otto Erich Hartleben
In meines Vaters Garten -
blühe mein Herz, blüh auf -
in meines Vaters Garten
stand ein schattender Apfelbaum -
Süsser Traum -
stand ein schattender Apfelbaum.
Drei blonde Königstöchter -
blühe mein Herz, blüh auf -
drei wunderschöne Mädchen
schliefen unter dem Apfelbaum -
Süsser Traum -
schliefen unter dem Apfelbaum.
Die allerjüngste Feine -
blühe mein Herz, blüh auf -
die allerjüngste Feine
blinzelte und erwachte kaum -
Süsser Traum -
blinzelte und erwachte kaum.
Die zweite fuhr sich übers Haar -
blühe mein Herz, blüh auf -
sah den roten Morgentraum -
Süsser Traum -
Sie sprach: Hört ihr die Trommel nicht -
blühe mein Herz, blüh auf -
Süsser Traum -
hell durch den dämmernden Traum?
Mein Liebster zieht in den Kampf -
blühe mein Herz, blüh auf -
mein Liebster zieht in den Kampf hinaus,
küsst mir als Sieger des Kleides Saum -
Süsser Traum -
küsst mir des Kleides Saum!
Die dritte sprach und sprach so leis -
blühe mein Herz, blüh auf -
die dritte sprach und sprach so leis:
Ich küsse dem Liebsten des Kleides Saum -
Süsser Traum -
ich küsse dem Liebsten des Kleides Saum. -
In meines Vaters Garten -
blühe mein Herz, blüh auf -
in meines Vaters Garten
steht ein sonniger Apfelbaum -
Süsser Traum -
steht ein sonniger Apfelbaum!
Laue Sommernacht
Otto Julius Bierbaum
Laue Sommernacht: am Himmel
Stand kein Stern, im weiten Walde
Suchten wir uns tief im Dunkel,
Und wir fanden uns.
Fanden uns im weiten Walde
In der Nacht, der sternenlosen,
Hielten staunend uns im Arme
In der dunklen Nacht.
War nicht unser ganzes Leben
So ein Tappen, so ein Suchen?
Da: In seine Finsternisse
Liebe, fiel Dein Licht.
Bei dir ist es traut
Rainer Maria Rilke
Bei dir ist es traut:
Zage Uhren schlagen
wie aus weiten Tagen.
Komm mir ein Liebes sagen -
aber nur nicht laut.
Ein Tor geht irgendwo
draussen im Blütentreiben.
Der Abend horcht an den Scheiben.
Lass uns leise bleiben:
Keiner weiss uns so.
Ich wandle unter Blumen
Heinrich Heine
Ich wandle unter Blumen
Und blühe selber mit;
Ich wandle wie im Traume
Und schwanke bei jedem Schritt.
O, halt mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
Fall' ich dir sonst zu Füßen,
Und der Garten ist voller Leut’.
Ekstase
Otto Julius Bierbaum
Gott, in deine Himmel sind mir aufgetan,
und deine Wunder liegen vor mir da
Wie Maienwiesen, drauf die Sonne scheint.
Du bist die Sonne, Gott, ich bin bei dir,
Ich seh mich selber in den Himmel gehn.
Es braust das Licht in mir wie ein Choral.
Da breit' ich Wandrer meine Arme aus
und in das Licht verweh ich wie die Nacht,
die in die Morgenrötenblust vergeht.
Hymne
Friedrich von Hardenberg, as Novalis
Das Geheimniß der Liebe,
Fühlen Unersättlichkeit
Und ewigen Durst.
Des Abendmahls
Göttliche Bedeutung
Ist den irdischen Sinnen Räthsel;
Aber wer jemals
Von heißen, geliebten Lippen
Athem des Lebens sog,
Wem heilige Glut
In zitternde Wellen das Herz schmolz,
Wem das Auge aufging,
Daß er des Himmels
Unergründliche Tiefe maß,
Wird essen von seinem Leibe
Und trinken von seinem Blute
Ewiglich.
Wer hat des irdischen Leibes
Hohen Sinn errathen?
Wer kann sagen,
Daß er das Blut versteht?
Einst ist alles Leib,
Ein Leib,
In himmlischem Blute
Schwimmt das selige Paar.
O! daß das Weltmeer
Schon erröthete,
Und in duftiges Fleisch
Aufquölle der Fels!
Nie endet das süße Mahl,
Nie sättigt die Liebe sich.
Nicht innig, nicht eigen genug
Kann sie haben den Geliebten.
Von immer zärteren Lippen
Verwandelt wird das Genossene
Inniglicher und näher.
Heißere Wollust
Durchbebt die Seele,
Durstiger und hungriger
Wird das Herz:
Und so währet der Liebe Genuß
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Hätten die Nüchternen
Einmal nur gekostet,
Alles verließen sie,
Und setzten sich zu uns
An den Tisch der Sehnsucht,
Der nie leer wird.
Sie erkennten der Liebe
Unendliche Fülle,
Und priesen die Nahrung
Von Leib und Blut.
The silent town
English Translation © Richard Stokes
A town lies in the valley,
a pale day is fading;
it will not be long
before neither moon nor stars
but night alone will deck the skies.
From every mountain
mists weigh on the town;
no roof, no courtyard, no house
no sound can penetrate the smoke,
scarcely towers and bridges even.
But as fear seized the traveller,
a gleam appeared in the valley;
and through the smoke and mist
came a faint song of praise
from a child's lips.
In my father's garden
English Translation © Richard Stokes
In my father’s garden –
blossom, O my heart, blossom –
In my father’s garden
grew a shady apple tree –
Sweet dream –
grew a shady apple tree.
Three blond princesses –
blossom, O my heart, blossom –
three wonderfully beautiful girls
slept beneath the apple tree –
Sweet dream –
slept beneath the apple tree.
The youngest of the three beauties –
blossom, O my heart, blossom –
the youngest of the three beauties
blinked and hardly awoke –
Sweet dream –
blinked and hardly awoke.
The second ran her hand through her hair –
blossom, O my heart, blossom –
Saw the red morning dream –
Sweet dream –
She said: ‘Don’t you hear the drums?
blossom, O my heart, blossom –
Sweet dream –
Brightly through the dawn?
My beloved is going to war
blossom, O my heart, blossom –
My beloved is going to war,
Kisses as victor the hem of my dress
Sweet dream –
Kisses the hem of my dress.
The third spoke, and spoke so quietly –
blossom, O my heart, blossom –
The third spoke and spoke so quietly:
I kiss the hem of my beloved’s coat –
Sweet dream –
I kiss the hem of my beloved’s coat.
In my father’s garden –
blossom, O my heart, blossom –
In my father’s garden
stands a sunny apple tree –
Sweet dream –
stands a sunny apple tree.
Mild summer night
English Translation © Richard Stokes
Mild summer night: in the sky
Not a star, in the deep forest
We sought each other in the dark
And found one another.
Found one another in the deep wood
In the night, the starless night,
And amazed, we embraced
In the dark night.
Our entire life – was it not
Such a tentative quest?
There: into its darkness,
O Love, fell your light.
I feel warm and close with you
English Translation © Richard Stokes
I feel warm and close with you:
clocks strike hesitantly,
like they did in distant days.
Say something loving to me -
but not aloud.
A gate opens somewhere
out in the burgeoning.
Evening listens at the window-panes.
Let us stay quiet,
no one knows us thus.
I wander among flowers
English Translation © Richard Stokes
I wander among flowers
And blossom with them;
I wander as in a dream
And sway with every step.
O, hold me fast, beloved!
Or drunk with love
I’ll fall at your feet –
And the garden is full of folk.
Ecstasy
English Translation © Michael P Rosewall
God, in your heaven I was formed
And your wonders, lying before me like
May meadows, on which the sun shines.
You are the sun, God, I am with you,
I see myself being drawn into the heavens.
Light reverberates within me like a hymn.
There I, a wanderer, spread my arms wide
And dissolve into the light, as nighttime vanishes into the rosy blaze of morning.
Hymne
English Translation © Linda Godry
The secret of love,
Feel unquenchable
Eternal thirst.
Holy communion's
Innermost sense
Remains a secret to us mere mortals;
But who ever
sucked in the breath of life
From hot, beloved lips,
Whom holy scorching waves
Tremblingly melted the heart,
Who with suddenly seeing eyes,
Divined heaven's
immeasurable depth,
Will eat from His body
Will drink from His blood
Forever.
Who has fathomed the essential meaning
of our earthly flesh?
Who can tell,
that he understands the blood?
Once all is flesh,
One flesh,
In heavenly blood
Floats the blessed couple.
O! That the ocean
would blush
And in fragrant skin
Would upwell the rock!
Never would end the sweet delecting,
Never be saturated the love;
Not close enough, not intimate enough
Can she have the beloved.
By ever more tender lips
The relished will grow
more and more to the heart.
Hotter lust
Trembles through the soul,
More thirsty and hungry
Becomes the heart:
And so persists love's indulgence/pleasure
From eternity to eternity.
If only once would the sober-minded
Have a taste,
They would gladly leave everything behind,
And sit and dine with us
From the table of longing
Which never empties.
They would recognize love's
Immeasurable fullness,
And praise the nourishment
Of flesh and blood.